Von: Jörn Kießler
Stand: 18.11.2024; 15:34 Uhr
Die meisten schweren Verkehrsunfälle ereignen sich auf Landstraßen. Darüber, ob ein strengeres Tempolimit helfen könnte, gehen die Meinungen auseinander.
Es ist die Horrorvorstellung jedes Verkehrsteilnehmers: Auf einer Landstraße kommt einem plötzlich bei hohem Tempo ein anderes Fahrzeug entgegen, das in den Gegenverkehr geraten ist. In dieser Situation gibt es keine Chance mehr zu reagieren. Ein Zusammenstoß ist unvermeidbar.
Genau das hat sich in der Nacht zu Sonntag im Kreis Steinfurt ereignet, als ein 20-Jähriger offenbar die Kontrolle über sein Auto verlor und auf der Gronauer Straße zwischen Ochtrup und Gronau mit einem entgegenkommenden Auto frontal zusammenprallte. Alle sechs Menschen, die in den beiden Fahrzeugen saßen, starben noch an der Unfallstelle.
Die meisten Unfälle passieren auf Landstraßen
Noch sind die genauen Umstände unklar, wie es zu dem Unfall kam. Fest steht, dass die beiden Autos auf einer Landstraße kollidierten. Nirgendwo ereignen sich mehr Unfälle mit Verletzten und Toten als auf genau dieser Art von Straßen. Und das schon seit Jahren, sagt Erich Rettinghaus, NRW-Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG): „Das belegen die Verkehrsunfallstatistiken des Bundes und der Länder ziemlich eindeutig.„
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr mehr als 63.000 Unfälle in NRW, bei denen Menschen verletzt wurden. Gut 18.000 davon ereigneten sich auf Landstraßen.
Von den insgesamt 450 Menschen, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen, wurde mehr als ein Drittel (154) bei Unfällen auf Landstraßen getötet. Laut Rettinghaus sind dafür mehrere Faktoren verantwortlich. „Das ist einerseits die hohe Geschwindigkeit, die dort gefahren wird„, sagt er. Anderseits aber auch Wettereinflüsse, unübersichtliche Einmündungen, fehlende Erfahrung mancher Fahrer, Fahrfehler und kreuzendes Wild.
„Ein weiterer Aspekt, der Unfälle begünstigt, sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die bestimmte Fahrzeuge dort fahren dürfen„, sagt der DPolG-Vorsitzende. Laut der Straßenverkehrsordnung dürfen Pkw dort Tempo 100 fahren. Lastwagen ab 3,5 Tonnen jedoch nur 80 Stundenkilometer. Und Lkw mit mehr als 7,5 Tonnen nur 60 km/h.
Verkehrswacht und DPolG: Tempo 80 auf Landstraßen
Diese Differenzen sind laut Rettinghaus ein großer Risikofaktor. Deshalb schlug er schon im Sommer dem NRW-Verkehrs- und Innenministerium ein Pilotprojekt vor. „Wir wollten herausfinden, inwiefern sich eine sogenannte Harmonisierung der Geschwindigkeit auf die Zahl der Unfälle auswirkt„, sagt Rettinghaus.
Dafür sollte auf einer besonders unfallreichen Landstraße Tempo 80 für alle Verkehrsteilnehmer gelten, ganz gleich ob Auto, Kleinlaster oder 7,5-Tonner. Unterstützung kam unter anderem von der Deutschen Verkehrswacht, deren Sprecher Heiner Sothmann sich beim WDR ebenfalls für ein solches Tempolimit aussprach.
Für das einjährige Pilotprojekt hatte die DPolG den Kreis Kleve vorgeschlagen, in dem sich besonders viele Unfälle auf Landstraßen ereignen. „Schon in den ersten neun Monaten dieses Jahres gab es dort 22 Verkehrstote„, sagt Rettinghaus. „Und da ist der unfallreichste Monat Oktober noch gar nicht berücksichtigt.„
Ministerien sehen keinen Handlungsbedarf
Doch zu dem Pilotprojekt kam es nicht. Weder das Innenministerium noch das Verkehrsministerium in NRW hatten daran Interesse. „Wir wurden damals an das Bundesverkehrsministerium verwiesen„, sagt Rettinghaus.
Ähnlich lautete die Antwort auf eine Anfrage des WDR zum Thema. „Die Länder haben keine rechtliche Handhabe, außerhalb der derzeit geltenden Straßenverkehrsordnung derartige Verkehrsversuche mit Geschwindigkeitsbegrenzungen durchzuführen„, heißt es aus dem Ministerium. Ein solches Projekt könne nur der Bund initiieren.
Im Bundesverkehrsministerium sieht man dafür aber keine Notwendigkeit. „Unsere Position ist unverändert„, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage des WDR. „Auf Landstraßen gilt bereits eine Geschwindigkeitsbegrenzung.„
WDR-Aktuelle Stunde-Beitrag:
In der Zeit von Minute 9:50 bis 15:34 wird über einen schrecklichen Verkehrsunfall in Ochtrup (Münsterland) mit sechs Toten, über ein junges Verkehrsunfallopfer aus Kleve und über die Forderung der DPolG NRW „Generelles Geschwindigkeitslimit von 80 km/h auf Landstraßen“ berichtet.
Von Minute 14:00 bis 14:33 äußert sich Erich Rettinghaus in seinem Statement zu einem generellen Geschwindigkeitslimit von 80 km/h auf Landstraßen, über einen Pilotversuch in einer NRW-Kreispolizeibehörde (KPB) und über die KPB Kleve, die sich hierfür anbietet, da es in diesem Landkreis die höchste Getötetenhäufigkeitszahl aller Kreise und kreisfreien Städte in NRW gibt.